Ort der Freude
tedfett
Speedy Shroodle & Gizellaz

Herr Schrudel hat sich dazu entschlossen, seinen Fuhrpark zu erweitern. Das ist ihm zwar etwas peinlich in diesen wirtschaftlich schmierigen Zeiten, aber wer die Möglichkeit hat, eine fabrikneue Dieselameise anzuschaffen, sollte nicht zögern! Auch wenn das letzte verbliebene Auslieferungslager sich in der Rhön befindet, "eine Sauerei eigentlich, aber typisch für diesen Osten hier im Osten".

"Es hilft nichts, Gisella (23), wir müssen die Eisenbahn benutzen. Ich kann ja rückzu nicht zwei (2) Boliden steuern. Das konnte nicht mal Paul Greifzu, haha." Schrudel ist glücklich über den gelungenen Kalauer, die Weltreise in die Rhön beginnt zu seiner Zufriedenheit.

Auf dem Bahnhof erste Irritationen: Die Abteile sind nicht mehr von außen zugänglich, und man kann jetzt fast durch den ganzen Zug hindurchgehen. Neumodischer Kram zwar, mit dem sich der Dackelträger allerdings schnell anfreundet. Die Moderne hat ihre Vorteile, und Schrudel probiert alles aus, auch das Edelstrahlklo! Koko, den alle nur Schaboffski nennen, darf in dem kleinen Dackelbehälter sitzen, der unter dem Fenstertisch angebracht ist, und Gisella lässt sich immer mal die Koffer auf die Ablage wuchten, um Schrudels Muskeln bewundern zu können.

Illustration
Die Zugfenster sind bekannt für schöne Ausblicke.

Die anderen 42 Gisellen (23) konnten zum Glück nicht mitkommen. Als Cheerleader-ABM sind sie zum Spieltag des Vereins "Go-Go!" Blasegast kommandiert. Der Verein betreibt ein asiatisches Kampfspiel mit mehreren schwarzen und weißen Linsen, die auf ein Brett gelegt werden und dem anderen wegzunehmen sind. Dabei winden sich zur Dekoration die CheerleaderInnen an Stangen neben den Go-Go-Tischen. Aus einem Spiel für Außenseiter und verrückte Wissenschaftler ist in Blasegast Breitensport geworden.

In der Rhön, Oberer Bahnhof, müssen die Reisenden den Zug verlassen, Sperrgebiet, gelle. Die Werwölfe heulen und haben alle Taxifahrer aufgefressen. Das ist nicht schlimm, der Verkehr wird sofort flüssiger, aber wo ist das Auslieferungslager?

Das Auslieferungslager erhebt sich auf einem kleinen Rhönberg, weithin sichtbar über der lieblichen Landschaft, die das begehrte Rhönschaf zum friedlichen Äsen benutzt. Die Wärmestuben der bewaffneten Schergen von damals sind verwaist. Fetter weißer Rhönschnee pappt auf den schönen Betonwegen, durch die sich im Sommer "der Löwenzahn, das Schwein" ans Licht frisst. Auf der Rampe steht ein Zwerg im Blaumann, Herr Bachnickel, und er darf die Rampe nicht verlassen! Die Vorkehrungen sind streng! Irgendwann wird sich "der Löwenzahn, die alte Kricke" auch in Herrn Bachnickel hineinfressen, denn die Nachfrage nach Dieselameisen bewegt sich doch nicht in den Dimensionen, die Schrudel imaginierte.

"Bist du der Ameisenzwerg?" brüllt Schrudel aufgeregt und wedelt mit seiner Bescheinigung. "Rück mir sofort den Wagen raus, du Gnom!" Angriff ist die beste Verteidigung! Gisella verhindert durch beschwichtigende Worte in Körpersprache, dass Schrudel von der übriggebliebenen Drillingsbüchse Bachnickels sofort niedergestreckt wird. Da hat sich das gelohnt, die schweren Gisellakoffer den Berg hinauf zu wuchten, selbst Koko trug seine Satteltaschen wie ein Mann.

"Wenn dieser Dackel nur ein wenig mehr Hirn hätte als eine Erbse, hätte er die Würste, die sich in diesen Taschen befinden, längst genossen, denn sie stammen von der Oma" berichtet Schrudel dem Blaumann verbindlich, um sich einzukratzen. Aber der will eigentlich nur den Stempel sehen, er fuchtelt mit der Flinte, denn in der Rhön besteht seit dem Elften September Waffenzwang, und irgendwann löst sich tatsächlich ein Schuss, der ein kleines Loch in die Rampe reißt.

"Hier kommt er raus, der Löwenzahn, die Sau, aus solchen Löchern. Ich wer verrückt" ruft Bachnickel und öffnet endlich die Halle. Die Halle ist leer. Es riecht nach Diesel. Wo ist die Ameise? Da, ein Tresor! Bachnickel ist mittlerweile mit seinen Gästen versöhnt, es kommt ja sonst keiner, und da möchte er ihnen auch etwas bieten: Aus der Hüfte schießt er den Tresor auf. Die Letzte Ameise steht im Original Fabrikwachs vor den Reisenden. Alle weinen. Dann verkauft Bachnickel zum Wucherpreis einen Kanister Diesel und hilft sogar mit, das dunkelgrün lackierte Fahrzeug von der Rampe zu heben. Früher mussten das die Kunden selber machen! Es war eben nicht alles schlecht.

Die mehrtägige Rückfahrt überwältigt alle. Gisella steht im bauchfreien Top vor Schrudel auf der Lenkwippe. In welchem Auto sonst könnten die Passanten ihr bauchfreies Top bewundern? Schrudel dreht an den Rädern rechts und links, die Fahrtgeschwindigkeit regulierend. Die Menschen winken und werfen Geld auf die Ladefläche. Die Medien suchen einen Sinn und widmen die Fahrt dem Terrorismus, Aids in Afrika sowie dem Klonen von Stammzellen. "Letzteres besonders, aber eigentlich wollen wir nur unseren Spaß" sagt Koko, der nun auch die Würste gefunden hat, in die Mikrofone.

Als die Dieselameise auf dem Blasegaster Steckwursthof eintrifft, ist die Oma allein zuhaus. Die anderen 42 Omas befinden sich in Nachmittagstalkshows, die rund um die Uhr aufgezeichnet werden, um den Deckenbedarf zu deppen. Die Themen der Woche: "Mein Sohn hat seine 42 Klons getötet", "Mein Dackel trinkt", "Meine Untermieterin, die Schlampe", "Keiner isst, was ich koche" und "Immer bricht der Balkon durch, wenn man es nicht gebrauchen kann".

"Und die fehlenden Gisellas?" ruft Schrudel erfreut. - "Ein gelierter Herr betrat das Treppenhaus" spricht Oma Steckwurst gepflegt. "Sie sind jetzt ein Model, machen eine Solokarriere mit Plattenvertrag und werden später Schauspielerin."

Die sind wir los, seufzen die Reisenden und entkorken die Flaschen. Wer einmal berühmt ist, kehrt nimmer wieder. Weil er berühmt ist oder nicht mehr berühmt ist. Es lebe die Ameise! Es lebe der Diesel! Es lebe die Rhön! Es lebe Blasegast!

Ende